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Die gehörlose und hörende Öffentlichkeit wird zu einer Veranstaltung in den Grazer Dom im Berg gerufen: Aus ganz Österreich und aus dem benachbarten Ausland werden Gehörlose kommen. Es ist ihre Party, ihre Sommernacht in graz03.

Beim Einlass liegt unter einer Wärmelampe ein großer Bienenwachsblock bereit, aus dem sich Hörende Ohrenpropfen schälen können, um sich vor der allenfalls gehobenen Lautstärke besonders schützen und auch besser in die besondere Lage weitgehend eingeschränkten Hörens und völliger Visualität versetzen zu können. Was vom Wachsblock übrigbleibt, wird eine der festen Skulpturen sein, die in dieser Nacht entstehen werden, neben all den Gebärden, die jede für sich eine flüchtige Skulptur ist....
 
:: Interview mit Wolfgang Georgsdorf ::
(Initiator und künstlerischer Leiter der Veranstaltung)
Sie haben sich in den letzten Jahren auf unterschiedlichste Art und Weise mit der Gehörlosenkultur und der Gebärdensprache beschäftigt.
Was weckte Ihre Aufmerksamkeit für dieses Thema und was fasziniert Sie dabei?
Wie sind die DEAF-Projekte für graz03 entstanden?
Warum haben Sie mit DEAF DANCE DEAF SLAM ausgerechnet eine Tanzveranstaltung für Gehörlose und Hörende konzipiert?
Ist der DEAF DANCE Ihre erste Veranstaltung zum Thema in der Form?
Welche Zielgruppe möchten Sie mit dieser Veranstaltung ansprechen?
Welches Programm erwartet die Besucher beim DEAF DANCE DEAF SLAM?
Gibt es für Besucher die Möglichkeit, sich bei der Veranstaltung einzubringen?
Warum sollen Hörende zum DEAF DANCE DEAF SLAM kommen?
Was ist das Besondere an der Gehörlosenkultur und der Gebärdensprache?


an den anfang Sie haben sich in den letzten Jahren auf unterschiedlichste Art und Weise mit der Gehörlosenkultur und der Gebärdensprache beschäftigt. Was weckte Ihre Aufmerksamkeit für dieses Thema und was fasziniert Sie dabei?

All der bisherigen Beschäftigung in dieser "blühenden Wiese" ging bei mir einfach der Wunsch voraus, die Gebärdensprache der Gehörlosen zu erlernen. Diese Sprache und das Phänomen der Gehörlosenkultur hatte irgendwie begonnen als eine Art Drehbühne zu funktionieren, zwischen einigen Bereichen, die für meine Arbeit von Interesse sind: Lebhafte Beziehungen, die sich für mich zwischen der Gebärdensprache und Bildhauerei, Zeichnung, Choreographie, Architektur, Musik, Literatur, Theater, Semiotik, Linguistik, Etymologie, Psychologie, Ethnologie / Anthropologie, und verschiedensten visuellen, körperproduzierten Zeichen- oder Formsystemen aufgetan hatten, waren Grund genug, die Gebärdensprache zu einem Gegenstand der eigenen Arbeit zu machen. Meine ursprüngliche Faszination war kunstbezogen und das Ausufern in zB. ein Forschungs- und Multimediaprojekt wie MUDRA (www.mudra.org), an dem ich 7 Jahre gearbeitet hatte und andere - filmische - Arbeit zu diesem Thema war von mir ursprünglich weder vorhergesehen, noch geplant.

Gleichzeitig mit dem Gebärdenspracherwerb waren es aber vor allem dann die Freundschaften mit Gehörlosen, die sich bald entwickelt hatten, und damit auch der Einblick in die erstaunliche Sprache und Kultur der Gehörlosen. Ich war begeistert, und bin es immer mehr.

Als poetisches Kraftwerk hat sich die Gebärdensprache beim Erlernen entpuppt. Jede erworbene Gebärde oder Redewendung - ein weiterer Raum in der Architektur mobilen plastischen Textes, mit einer Ausdrucksstärke, wie wir sie oft nur aus Dialekten oder aus manchen Gedichten kennen.

Zwangsläufig weitete der begonnene Spracherwerb und der immer engere Kontakt mit Gehörlosen auch den Blick auf die unglaubliche Geschichte der Fehleinschätzung und Verkennung Gehörloser, ihrer Sprache und ihrer Kultur. Bis heute ist diese Geschichte von Ignoranz und Zynismus hörender Mehrheit geprägt, von einer teilweise bewußtlosen Bildungspolitik und der anachronistisch anmutenden Knebelung Gehörloser inmitten der zivilisiertesten unserer Kulturen.

Es ist eine zum Teil absurde und unsägliche politische und soziale Situation, in der sich die Gehörlosengemeinschaft befindet, die seit Jahrzehnten um die Anerkennung ihrer Sprache als Minderheitensprache kämpft.
 
an den anfang Wie sind die DEAF-Projekte für graz03 entstanden?

Wolfgang Temmel, Kurator der von ihm für das Programm der europäischen Kulturhauptstadt GRAZ 2003 geschaffenen Kunstprojektreihe "sinnlos" hatte u.a. mein Video "TALKING HANDS", dann das Programm "MUDRA" und einige andere meiner Arbeiten zu diesem Thema gesehen und mich eingeladen, eigene Beiträge zu Gehörlosigkeit und Gebärdensprache für das Programm von sinnlos zu gestalten.

Aus einer Reihe von Vorschlägen, die ich gemacht hatte, haben wir uns dann für drei entschieden:

1 | die
DEAF SPOTS: Videoclips von / über / in Gebärdensprache

2 |
DEAF SENTENCE, (Language, Minority & the Arts)
ein szenischer Vortrag zu Gebärdensprache und Gehörlosenkultur sowie der

3 |
DEAF DANCE DEAF SLAM
 
an den anfang Warum haben Sie mit DEAF DANCE DEAF SLAM ausgerechnet eine Tanzveranstaltung für Gehörlose und Hörende konzipiert?

Gehörlose tanzen. Sogar sehr. Und gern. Bewegung, Musik und Rhythmus liegt in der Natur der Sprache der Gehörlosen. Es gibt kaum ein Gehörlosenfest, bei dem nicht auch getanzt wird.

Wer gesehen hat, wie sich Gehörlose bei lauten, starken Rhythmen im Stroboblitz tanzend in ihrer eigenen Sprache entspannt austauschen, tanzend philosphophieren, witzeln, Ideen sprudeln, wird sich nicht mehr fragen, was Gehörlose am Dancefloor suchen...

Und wo dann Sprache für Hörende wegen der Lautstärke endet, gehts für Gehörlose ganz gelassen und differenziert weiter...Was HEISST?! - da geht's erst richtig los, kann man sagen!
 
an den anfang Ist der DEAF DANCE Ihre erste Veranstaltung zum Thema in der Form?

Ich habe ähnliche Veranstaltungen, die dann auch ziemlich lustig geworden sind, schon in der Vergangenheit organisiert. So etwa den DEAF RAVE in der Linzer Stadtwerkstatt 1995 und 1997, der damals schon für Gehörlose aus ganz Österreich zum demonstrativen Fest wurde.

DEAF DANCE DEAF SLAM aber wird glaube ich ein besonderes Ausmaß erreichen. Der Grazer Dom im Berg im Inneren des zentralen Grazer Schloßbergs mit seinem Fassungsvermögen für 600 Menschen und seiner modernen Licht- und Videoausstattung wird dieses Ereignis beherbergen, zu dem Gehörlose nicht nur aus ganz Österreich, sondern auch aus den angrenzenden Regionen des benachbarten Auslands eingeladen sind. Da wird die Höhle ziemlich rocken!

Aber nicht nur Gehörlose, sondern ALLE sind eingeladen: Hörende und Gehörlose auf dem dancefloor.

Für Hörende, denen die Welt der Gehörlosen bislang eher fremd war, wird die lange Nacht im Dom im Berg ein außergewöhnliches Erlebnis und ein eindrucksvolles Zeugnis der Sprache und Kultur der Gehörlosen sein.

Und ein Fest, noch dazu ein Tanzfest, ist einer der besten Anlässe, einander näher zu kommen. Und Gebärdensprache passt perfekt zu Tanz und Hip-Hop: Sie ist einfach smart und sexy.
 
an den anfang Welche Zielgruppe möchten Sie mit dieser Veranstaltung ansprechen?

Alle. Gehörlose wie Hörende, die gern tanzen und auf Hip Hop, Rap, Drum+Bass, oder Jungle stehen. Gehörlose sowieso. Und junge Hörende, die sich für Gebärdensprache und Gehörlosenkultur interessieren. Aber auch das Kunstpublikum. Die Nacht könnte eine recht ungewöhnliche werden! Da findet eine Sprache statt, die den Hip-Hop erfunden zu haben scheint. Deswegen stehen auch soviele junge Gehörlose auf Hip-Hop, auf Rap...gerappt haben die schon, da hat's noch gar keinen Rap gegeben...

Es wird eine ziemlich launige Auflegerei mit den besten DJs, die wir dafür kriegen können, offen für alle. Apropos offen: Die Bühne für Live-Acts wird streckenweise auch Open Stage sein, für spontane Slams.
 
an den anfang Welches Programm erwartet die Besucher beim DEAF DANCE DEAF SLAM?

Ab 20.30 Uhr gibt es eine möglicherweise unterhaltsame oder lebhafte, auf jedenfall nicht sehr trockene Einführung in die Gehörlosen-Kultur und die Gebärdensprache, von mir. Unter dem Titel "DEAF SENTENCE - Language Minority & the Arts", die ist im sinnlos - Programm angekündigt als "Szenischer Vortrag / Performance von Wolfgang Georgsdorf".

Was wir immer schon über Gehörlosenkultur und Gebärdensprache wissen wollten, und uns nie fragen getraut haben... Aber was als Vortrag beginnt, muss nicht immer als solcher enden...(lacht). Na ja, Crash-Course in Gehörlosen/Gebärdensprach-Issues für hörende Neueinsteiger und Affirmation für Gehörlose sozusagen.

Um 22.30 startet dann
DEAF DANCE DEAF SLAM. Am Eingang, wo es den obligaten Stempel auf die Haut gibt, steht ein Bienenwachsblock unter einer Wärmelampe, für jene hörenden Besucher, die sich vor der doch gut satten Lautstärke des Abends etwas schützen möchten.

Im Dom im Berg wirds anfangs Hip Hop geben, dann Jungle und Drum&Bass - wenn man die aufgelegte Musik jetzt auf gängige Bezeichnungen reduzieren will. In Wirklichkeit geht's über diese Grenzen hinaus.

Dazwischen wird es Live Acts geben von Gehörlosen mit Raps oder Slams, die entweder auf der Open Stage oder am Dancefloor selber abgefahren und von einer Live-Kamera auf die umliegenden Screens oder auf die Höhlenwände übertragen werden. Teilweise wirds auch ein Voicing (in Lautsprache übersetzte Gebärdensprache) von Gebärdendolmetschern geben, für die Hörenden. Und die Visualisierung wird abgesehen vom Sound gerade an diesem Abend eine große Rolle spielen. Es gibt 10 Videoprojektoren, die aus vier verschiedenen Quellen gespeist werden:

Gebärdensprachfilmclips,
Deaf Spots, Lichteffekte- und Installationen, Live-Kamera-Projektionen, eine Monitorwand mit 100 Monitoren, musikgenerierte Visualisierungseffekte live über die Projektoren...

Und ein gutes Catering wird's auch geben. Essen und Trinken direkt im Dom im Berg.
 
an den anfang Gibt es für Besucher die Möglichkeit, sich bei der Veranstaltung einzubringen?

Klar, wenn jemand etwas als Live-Act bringen möchte, Tanzen oder eigene Texte, die werden auch in Gebärdensprache übersetzt und live an die Höhlenwände projeziert werden. Eine eigene Bühne wird dafür da sein, zusätzlich zu den Plätzen von denen aus die DJs und VJs wirken werden.
 
an den anfang Warum sollen Hörende zum DEAF DANCE DEAF SLAM kommen?

Wozu überhaupt unterscheiden? Ich meine, im Fall einer großen Tanzveranstaltung, die einfach von Menschen lebt, die sich bewegen, einander begegnen, berühren, sich ausdrücken wollen ?

Hörende und Gehörlose auseinander zu dividieren liegt nicht im Interesse der Gehörlosen. Deren Teilnahme am öffentlichen Leben findet zu wenig statt, aber nicht etwa, weil sie sich selbst daraus zurückziehen wollten, sondern weil diese Teilnahme durch Sprach- und Kulturbarrieren der Hörendenwelt erschwert oder verbaut ist.

Hörende und Gehörlose auseinanderzudividieren kann auch nicht im Interesse der Hörenden liegen, die durch die Annäherung an die Gebärdensprache und Begegnungen mit Gehörlosenkultur nur profitieren können.

Gehörlose können alles, außer Hören. Und die meisten Hörenden können alles, außer gebärden. Aber wenn sie es könnten, und so schwer ist es gar nicht, wäre der Dancefloor noch viel attraktiver für sie. Vielleicht kommt das ja dabei schön zutage...
 
an den anfang Was ist das Besondere an der Gehörlosenkultur und der Gebärdensprache?

Bis heute wird die Gebärdensprache der Gehörlosen weithin nur als als lose Sammlung globaler Gesten zum notdürftigen Sinnzufuchteln Behinderter gesehen. Sie ist seit den 60er Jahren dieses Jahrhunderts linguistisch als eine Sprache nachgewiesen, die nicht unvollständiger ist, als gesprochene Sprachen, und einige Möglichkeiten hat, die gar über die der gesprochenen Sprachen hinausgehen. Sie ist eine strukturierte, vollwertige, grammatikalisch eigenständige Sprache, in der auch abstrakte Sachverhalte dargestellt, Emotionen hervorragend ausgedrückt oder Gedichte vorgetragen werden können. Die Ähnlichkeiten der national gebärdeten Sprachen und Dialekte sind ungleich größer als der gesprochenen, und überregionale Verständigung ohne Kenntnis einer Fremdsprache ist entsprechend leichter möglich. Kinder wenden beim Erlernen der Gebärdensprache dieselben Strategien wie beim Lautspracherwerb an. Für 1-1,5 Promill der Weltbevölkerung ist dies die begriffsbildende Sprache. Zurecht wird von der kleinen internationalen Fachgemeinde die frappierende Steigerung der Wahrnehmung und der visuellen Intelligenz bescheinigt, die mit dem Erlernen dieser Sprache einhergeht. Trotzdem ist die Gebärdensprache in Europa bisher nur von den skandinavischen Ländern als Minderheitensprache anerkannt worden.

Die Gebärdensprache ist eine rapide wachsende und - wie in anderen Ländern auch - in ihrem Selbstverständnis wiedererwachende Sprache. Proportional zur zunehmenden Mobilität auch der Gehörlosen fließen in jede regionale Variante Entlehnungen aus anderen Gebärdensprachen ein und infolge rasanter technologischer und gesellschaftlicher Veränderungen kommen ständig neue Zeichen und Begriffe hinzu.

Vieles spricht dafür - und die Spekulation heimelt an - daß in der Entwicklung menschlicher Sprache die Gebärde vor dem Wort kam. Der Impuls, sich in das Gemeinte oder Eingebildete zu verwandeln. Ich beobachte an mir, daß dem Wort, bzw. einem zur Artikulation vorgesehenen Gedanken ein Bewegungs- oder Gebärdenimpuls, der verhaltene Ansatz zum körperlichen Darstellen, zum Verkörpern des Gemeinten reflexartig vorangeht, Kapsel oder Keim einer physischen Bewegung. In dieser Hinsicht scheinen Gedanken so etwas wie Gebärdenlarven zu sein. Ähnlich dem Vorgang beim stummen Erinnern einer Melodie: Deren unterdrücktes Summen. Der Befehl zur Bewegung erreicht zwar Kehlkopf und Stimmbänder, wird aber nicht ausgeführt. Stimme und Laut kommen, wenn der Atem dieser Bewegung folgt und offen auf ihr reitet.

Räumliche und und zeitliche Verhältnisse werden in der Gebärdensprache räumlich dargestellt. Gebärden ähneln als bewegte Formen größtenteils ihrer Bedeutung, weil sie zum Abbilden des Gemeinten neigen. Das entspricht der Lautmalerei in den Wörtern der gesprochenen Sprache. Eine schnelle Bildersprache, die sich raffiniert aller gestischen Möglichkeiten des Körpers bedient. Die Mimik erfüllt wichtige Funktionen für die Grammatik, sie transportiert Eigenschaftswörtern entsprechende Begriffe, Frage- und Ausrufezeichen, Steigerungen, Angaben von Größenordnungen und: Im Gesicht liegt das Gefühl, das dem Zeichen seine Verfassung gibt. Die Poesie dieser Sprache lebt wie auch die der Lautsprache aus der Verdichtung bedeutungstragender Formen, die über sich selbst hinaus weit in die Bedeutungen anderer Formen hineinreichen und sich mit ihnen verbinden. Auch Reime hat die Gebärdensprache, aber sie funktionieren anders: Während es im Deutschen die Silben Schnee-Klee-Fee-See sind, sind es zB. in der österreichischen Gebärdensprache die Zeichen Schnee - zählen - Irland - träumen, die sich in Fingerspiel und Bewegung reimen. Besonders stark aber kann die Gebärdensprache mit Rhythmus und Gebärdenübergängen in ihrer (schriftlosen) Dichtung operieren....-
- und noch sehr vieles mehr ließe sich über all das sagen - UND ZEIGEN...




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